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Tuesday 1 November 2011

Berge von Fleisch oder nur Kraut und Rüben? -Mittelalterliche Küche im Blickfeld [1.Teil]// Heaps of meat or just cabbages and turnips? - Medieval cuisine in focus. [Part 1]

Am 9. Oktober habe ich im Rahmen der "Tage der Regionen" im Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim einen Vortrag zu mittelalterlicher Küche und Ernährung gehalten. Auf Grund der Länge werde ich diesen in mehreren Beiträgen nach und nach hier veröffentlichen, allerdings ohne die zugehörige Power-Point-Präsentation.
     Anzumerken ist noch, dass auf Grund des großen behandelten Zeitrahmens und der imensen regionalen Unterschiede nur ein oberflächliches Bild der historischen Zustände gegeben werden konnte.


On October 9th I held a presentation about medieval cuisine and diet at "Fränkisches Freilandmuseum Bad Windsheim" as part of the "Tage der Regionen" (days of regions). Because of its length I will publish it in several posts but without the power point slides.
     The text will be in German but I will try to give English summaries shortly after publishing the original.


1. Einleitung
1.1 Das Klischee
Die Tische biegen sich unter Bergen von Fleisch, laute ungehobelte Ritter reißen mit ihren Zähnen große Brocken aus riesigen fetttriefenden Fleischkeulen, die sie in bloßen Händen halten. Daneben knabbern verschüchterte, hübsche und kostbar gekleidete Edeldamen lustlos an ihrem Wildbret. Die Knochen und Speiseabfälle werden einfach über die Schulter auf den Boden geworfen, wo sich halb verhungerte Jagdhunde darum streiten. Die Speisen sind schwer verdaulich, fettig, und stark gewürzt, um den Geschmack des schon verwesenden Fleisches zu überdecken. Obst und Gemüse kommen so gut wie nicht auf den Tisch und wenn, dann wird es achtlos stehen gelassen. Mittelalterliche Küche ist so ungenießbar, dass die Gerichte mit großen Mengen Bier, Wein oder Met herunter gespült werden müssen.
   Die armen Bauern hingegen müssen sich mit dem begnügen, was der karge Boden hergibt und was ihnen von den Landeigentümern nicht als Pacht und Kirchenzehnt weggenommen wird. Fleisch ist quasi fast nie zu bekommen und wenn, dann von minderwertiger Qualität. "Geringes Brot, Haferbrei oder gekochte Bohnen bilden die Speise der Bauern, Wasser und Molken ihren Trank" schrieb schon Johannes Boemus um 1500. Kraut und Rüben könnte man noch ergänzen.
   So schaut zumindest das gängige Klischee zu mittelalterlicher Kochkunst aus, dass uns immer wieder durch Bücher, Filme und Fernsehen vermittelt wird. Dies gilt insbesondere für sogenannte "Mittelalter-Kochbücher". Unter dem Schlagwort "Mittelalter" werden in vielen von ihnen völlige Neuschöpfungen ohne jeglichen Quellenbezug oder "altüberlieferte" Rezepte - im ältesten Fall oft erst aus dem 19. oder frühen 20. Jahrhundert - als historisch korrekte Küche verkauft.


1.2 Die Realität
Doch wie sieht nun die Realität aus? Einleitend muss man sagen, dass es "das Mittelalter" als einheitliche Epoche nie gab. Es handelt sich um einen Zeitraum von ca. 1.000 Jahren, in dem sich nicht nur auf dem politischen Sektor viel getan hat. Auch im sozialen Bereich, im Handwerk, beim Gerätebestand, im Küchen- und Ernährungswesen und in allen anderen Bereichen des menschlichen Lebens und Schaffens vollzogen sich von der Zeit um 500 bis etwa um 1.500 vielfache Wandlungsprozesse.
   Da es sich um einen sehr langen Zeitraum handelt, mit dem sich die Wissenschaft auseinandersetzen muss, hat man bereits im 19. Jahrhundert die immer noch gültige Abgrenzung von Früh-, Hoch- und Spätmittelalter eingeführt. Da diese allerdings an politischen Ereignissen festgemacht wurde, wird sie nicht in allen Bereichen den tatsächlichen Entwicklungen gerecht. Fließende Übergänge und verzögertes Einsetzen von Wandlungsprozessen und große regionale Unterschiede sind nicht nur für das hier behandelte Küchen- und Ernährungswesen charakteristisch. Bei den größeren und kleineren Umbrüchen, die die inneren Epochengrenzen bilden, handelt es sich demnach also nicht um tatsächliche Brüche im eigentlichen Sinne, sondern eher um mehr oder weniger lang dauernde Wandlungsprozesse.
  Im Folgenden werde ich mich zwar an der herkömmlichen zeitlichen Unterteilung orientieren. Die vorhergehenden Anmerkungen zu den geschichtlichen Umbrüchen sollten jedoch immer im Hinterkopf behalte werden. Der gewählte Betrachtungs-raum wird im wesentlichen den deutschsprachigen Raum umfassen. Da die Entwicklungen auf dem Ernährungssektor teils sehr komplex sind und eine vollständige Betrachtung den Rahmen dieses Vortrages sprengen würde, werde ich nur einen kurzen Überblick über die Gesamtentwicklung geben. Gefolgt wird dieser Überblick durch eine genauere Darstellung der spätmittelalterlichen Verhältnisse, für die uns besonders zahlreiche Quellen vorliegen.

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